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Breaking Three

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13.Oktober, 13:35. Da stehe ich nun im Englischen Garten in München und habe noch ziemlich genau 5 Minuten Zeit bis zum Start. Zum Start des Münchner Halbmarathons. Und das alles nur wegen Dominik. Der nicht hier ist.

Aber hier ist Friedl. Er läuft seinen zweiten Halbmarathon. Vor zwei Wochen ist er in Ulm schon eine 2:48 gelaufen und heute will er wenigstens eine 2:47 schaffen. Wir haben 3 Stunden Zeit, das ist die sogenannte Karenzzeit. Dann kommt der Besenwagen. Den ich hoffentlich nicht sehen werde. Hinter dem muss man am Gehsteig laufen.

Steve ist bereits vor 5 Minuten gestartet. Im Startblock A. Die Schnellen. Wir sind C. Die Langsamen. Vorne wird geklatscht, Es geht wohl los. Den Startschuss hören wir nicht, wir sind zu weit hinten. Kilometer 0.

Kilometer 1: Nur nicht zu schnell loslegen. Beim Staffellauf in Wien bin ich vor einem halben Jahr schon mal 15k auf Zeit gelaufen. Also 15 Kilometer. Nach 2k war ich das erste Mal kaputt. Zu schnell angegangen. Das passiert mir heute nicht. Mir ist auch zu warm dafür. Und es geht bereits nach 300m bergauf. Ich dachte, in München ist es flach.

Kilometer 2: Eigentlich wollte ich mit den 2:30 Pacern anfangs mitlaufen. Theoretisch wären 2:34 bei mir drin. Sagt die Leistungsmessung der letzten Wochen und Monate. Die Pacer haben wir auf der ersten Steigung aus den Augen verloren. Ich muss also mein eigenes Rennen laufen. Vielleicht auch besser so. Jetzt erst mal von der Steigung erholen. Und ich habe ja noch Friedl. Er läuft genau mein Tempo. Also das, was sich für mich OK anfühlt. 2:47 würde ich jetzt auch nehmen…

Kilometer 3: Der Puls ist konstant bei 160. Das ist OK. Sagt mir auch die Erfahrung der letzten Monate. Ich habe sogar eine Spirometrie unter Laborbedingungen gemacht und weiß, dass mein Maximalpuls bei 182 liegt. Also alles im Grünen Bereich.

Kilometer 4: Friedl ist noch neben mir, mal ein paar Meter vor mir, mal hinter mir. Wir bringen einander automatisch dazu, mit sehr konstanter Anstrengung zu laufen. Das ist gut. So kann man das überstehen. Denn es ist sehr warm.

Über uns ist ein Luftschiff. Eine nette Ablenkung. Ganz ruhig. Rund herum immer wieder Zuschauer, die uns anfeuern. Kleine Kinder, die abgeklatscht werden wollen. Läuft.

Kilometer 5: Die erste Verpflegungsstelle. Und Friedl ist weg. Er läuft durch Verpflegungsstellen durch, trinkt und isst dabei. Ich gehe langsam, habe das nicht so heraus. Aber ich kriege ihn nach 200 Metern wieder, wenn es das nächste Mal bergab geht. Funktioniert eigentlich ganz gut. Habe in den letzten Wochen viel Wert auf Techniktraining gelegt. Die richtige Vorlage. Also sich so ein bisschen vorwärts lehnen beim Laufen. Damit bremst man nicht bei jedem Schritt. Und bergab wird man automatisch schneller. Nur sauber laufen, sonst gibt es Rückenprobleme. Oder mit dem Knie. Oder der Achillessehne. Aber ich bleibe konzentriert.

Kilometer 6: Ist das heiß hier. Fade Strecke, die Sonne brennt. Die Univesität gibt später zu Protokoll, dass die Maximaltemperatur des Tages 25.7 Grad ist. Im Frühjahr habe ich gemerkt, dass ich, sobald es mehr als 16 Grad hat, langsamer werde. Der Traum von den 2:30 ist ad acta gelegt. Macht nix. 3:00 sind das Ziel. Also: Breaking Three.

Kilometer 7: Um Breaking Three zu schaffen muss ich 8:30 pro Kilometer laufen. Bisher geht das leicht. Der schnellste Kilometer war 7:50, alle unter 8:30. Ich baue also einen gewissen Zeitpolster auf. Wie viel? Egal. Zum Rechnen habe ich keine Lust. Der Kipchoge ist ja gestern in Wien gelaufen: Breaking Two. Er hat einen Marathon unter zwei Stunden geschafft. Ich will die halbe Strecke in drei. Jedem seine Ziele. Und meines habe ich Dominik, Steve und TJ zu verdanken.

Kilometer 8: Heiss. Der Dominik hat auf der Ganzohr Wissenschaftspodcastkonferenz vor zwei Jahren spät abends bei Burger und Bier gesagt, er will wieder Sport machen. Und der Steve meinte, er könnte ihn trainieren. TJ und ich haben sich angeschlossen. Und gemeinsam sind wir die 3 Schweinehunde. Steve ist ja der Betreuer. Der scheint keinen Schweinehund überwinden zu müssen und läuft 5x die Woche wie ein Uhrwerk. Wobei nicht ganz. Doch dazu später. Als Podcaster berichten wir 3 Schweinehunde etwa einmal im Monat von unserem Trainingsfortschritt. Trainingsziel ist hier und heute den Halbmarathon zu schaffen. In der Karenzzeit. Aber das hatten wir ja schon.

Kilometer 9: Friedl ist noch da. Steve wohl weit vor mir. Insgesamt sind wir heute sogar 9 Schweinehunde. Einige Hörer:innen haben sich angeschlossen. Sonst wäre das auch traurig. Denn Dominik konnte heute nicht starten. Zuerst eine Verletzung am Fuß, eine Sehnenzerrung. Zuletzt noch 2 Erkältungen. Und während ich mich hier abmühe, frage ich mich, ob die ihm nicht ganz recht gekommen sind. Nein, dafür hat er zu viel trainiert. TJ ist schon länger raus. Details haben wir im Schweinehunde Podcast berichtet. Ob er je wieder mit uns laufen wird? Ich weiß es nicht. Mir ist zu heiß.

Kilometer 10: Einem älteren Herrn vor mir auch. Er kracht torkelnd gegen eine Bande. Ungefähr 50 Meter von den Sanis entfernt. Die kümmern sich gleich um ihn. Alles gut. Aber ich mache mir bewusst, dass ich auch ziemlich am Limit bin. Nicht von der Atmung, die hat sich in den letzten Wochen sehr verbessert. Eigentlich atme ich fast flach jetzt. Aber mir ist heiß. Ich weiß, das hatten wir schon. Aber es dominiert die Gedanken. Aber besser das, als andere Probleme. Vor einigen Wochen hatte ich mit der linken Patellasehne zu tun, das ist die über der Kniescheibe. Jumpers Knee, wie es genannt wird. Habe ich gelernt, wie viel anderes Anatomisches. Konnte ich aber durch Dehnung und Massage wieder los werden.

Hat sich herausgestellt, so heuer im Frühjahr, Steve unser Trainer, ist auch nur ein Mensch. Nach einem Rennen war er ziemlich K.O. Beine wie Gummi, hat er gesagt. Für einige Wochen. Warum konnten auch Ärzte nicht heraus finden. Das ist alles nicht so einfach mit dem Organismus. Manchmal ist die Ursache eines Problems ganz wo anders im Körper zu suchen. Oft im Kopf. Manchmal findet man sie nie und es wird einfach so wieder besser.

Kilometer 11: Friedl ist noch da, er schnauft. Mal sehen, ob ich ihn noch abhänge? Aber tut mir da nicht gerade die Achillessehne weh? Sauberer Laufen! Und schon ist es wieder weg. Vielleicht ein Warnsignal. Mit der gab es auch vor einiger Zeit Probleme. Die beiden sind auch meine Schwachstellen. Wegen ihnen habe ich zuletzt die Umfänge beschnitten, ein paar lange Läufe ausgelassen. Ob sich das noch rächen wird?

Kilometer 12: Es geht in die Stadt. Mehr Schatten. Das tut gut. Aber auch die Energie wird weniger. Und nach jeder Verpflegungsstelle wieder zu Friedl aufschließen kostet Kraft. Ich glaube nun eher, er wird mich abhängen. Meine Leistung sinkt. Anfangs waren es bergauf 240 Watt. Später 215 flach. Jetzt gerade noch 200. Das sagt mir ein Sensor am Schuh, der mit meiner Uhr spricht. Schon cool. Eigenlich sollte ich um die 240 Watt laufen. Aber das ist bei der Hitze nicht drin. Ich will ins Ziel kommen. Lieber etwas vorsichtig sein und nicht überpacen. Ich will mich ja nicht kaputt machen.

Kilometer 13: Puls weiter bei 160. Kardiovaskuläre Dings … Drift. Das Gehirn hat schon etwas zu wenig Sauerstoff. Der Puls steigt langsam, wenn man nicht langsamer wird, das ist normal. Und das wird heute noch lang werden. Friedl ist noch in Sichtweite, aber ich schließe nicht mehr locker auf. Egal.

Das mit Breaking Three muss sich ausgehen. Immer noch jeder km knapp unter 8:30. Der Besenwagen ist so weit weg wie noch nie. Normaler weise könnte ich mir im Kopf einen karierten Zettel vorstellen und Wurzel ziehen. Jetzt nicht mehr. Eigentlich interessant, dass das Gehirn und der Körper das recht locker hinnehmen. Über was man alles nachdenken kann, so beim Laufen. Die Gedanken driften immer wieder weg vom Lauf. Zuschauer feuern uns an. Ach ja, da sind wieder Kinder, die abklatschen wollen. 2m Umweg? Nö. Zu viel Anstrengung. Sorry.

Kilometer 14: Vorbei am Viktualienmarkt über Pflastersteine. Vor einem Jahr hätte ich da noch Probleme gehabt. Die Sehnen in den Füßen waren zu schwach. Habe dann ab Weihnachten die Umstellung zum Mittelfußlauf gemacht. Im April gab es erste Erfolge. Jetzt sind Pflastersteine kein Problem mehr. Ich schmunzle. Das sieht die Sprecherin: “Stefan schenkt uns sogar noch ein Lächeln”. Ich hatte das gar nicht gemerkt. Der Kipchoge macht das übrigens auch. Um den Schmerz zu überwinden. Noch tut nix weh.

Kilometer 15: Friedl ist weg. Die Sonne geht aber auch langsam runter. “Das sollte zu schaffen sein”, spreche ich mit einer Läuferin. “Daran habe ich nie gezweifelt.” In dem Moment sticht die rechte Wade. Jetzt zweifle ich doch. Mit der gab es noch nie Probleme. Egal, hier gibt’s auch wieder Verpflegung. Und die habe ich nötig. Energieriegel und Banane. Burps. Doch zuviel? Nein, geht schon.

Kilometer 16: Wieder mehr Energie. Aber die Wade tut auch mehr weh. Puh. Schade, dass ich mich an Friedl nicht mehr anhängen kann. Er ist endgültig außer Sichtweite. Ich suche mir einen anderen. Der humpelt sogar. Ich bin jetzt so langsam, dass ich mit einem der humpelnd läuft, gerade so mitkomme.

Kilometer 17: Das war’s wieder mit der Energie, aber sind ja nur mehr 4 Kilometer. Alter Schwede: Noch 4 km mit einer stechenden Wade? Aber ich habe noch 3 Gels bei mir. Mal eins nehmen. Jeder Meter fühlt sich bergauf an. Obwohl es hier eher bergab geht. Meine Uhr meint am Schluss 140 Höhenmeter, die von Steve 65. Was stimmt? Eigentlich ist das nur eine Frage der Auflösung der Messung, so eine Höhenkurve ist ein Fraktal. Oha! Das Hirn ist wieder voll da. Um den Schmerz zu genießen? Immerhin ist mit dem Kreislauf alles in Ordnung. Ich bin angstrengt, aber der Puls ist weiter bei 160.

Kilometer 18: Noch 3km. Die Reihen lichten sich, das Feld um mich zieht sich auseinander. Auch kaum Zuschauer. Langweilige Häuserreihen. Mal kurz überschlagen, ob sich das mit Gehen ausgehen würde. Nein. Aber ein paar Meter gehen schon. OK: 100 Meter. Dann wieder Anlaufen. Die Muskulatur in beiden Beinen tut weh. 3 Kilometer noch. Ach, das hatten wir ja schon.

Kilometer 19: Am Wegesrand sitzt einer mit einem Krampf. Ich will ihn aufmuntern, neben mir zu gehen. So langsam laufe ich. Er kann nicht. Aber er wirkt sonst OK. Der bei km 15 am Rettungswagen in der Rettungsdecke war nicht mehr OK. Totaler Blick durch mich durch ins Leere. Ist mit mir alles OK? Ja soweit alles OK. Aber es ist verdammt anstrengend. Mir fehlen die langen Läufe. Aber jetzt habe ich zwei Jahre trainiert und es fehlen mir mehr zwei Kilometer. Aufgeben ist definitiv keine Option. Denken Sie nicht an das Aufgeben! Alter, bin ich langsam, manchmal nur 9:30, und das laufend.

Kilometer 20: Die Polizeimotorräder überholen mich. Kommt schon der Besenwagen? Nein, die wollen nur nach Hause. Das Ziel, das Olympiastadion, ist schon zu sehen. Das letzte Gel hinein. Eigentlich ist der Akku leer. Ich mag nicht mehr. Weiter!

Kilometer 21: Die mentale Barriere fällt weg. Es ist nicht mehr weit, ich werde wieder so schnell wie ganz am Anfang. Beim Einlauf ins Stadium gibt’s dann Gänsehaut für ein paar Sekunden. Jetzt sind es nur mehr 200m. Ich überhole noch einen. Sehe die Freundin, die mich anfeuert. Ins Ziel. Geschafft! Three is broken. 2:55:irgendwas. Egal. Halbmarathon erledigt. Uff! Hinsetz… Nö, der Stadionsprechen wirft uns hinaus - über die lange Treppe geht’s aus dem Stadion.

Ich war nie im roten Bereich, den kenne ich von kürzeren Läufen. Steve hat mich gut vorbereitet, der Trainingsplan war topp. Beim Lauf war alles war unter Kontrolle. Und jetzt? Erstmal ausruhen. Forsetzung gibt’s im Podcast.

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